Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
der 27. Januar ist für uns Deutsche ein Tag der Scham, ein Tag der Trauer. Der Tag, an dem vor nunmehr 60 Jahren das Konzentrationslager Auschwitz befreit wurde, ist für uns ein Tag, an dem wir deutlich aussprechen: Ja, wir bekennen uns zu unserer Geschichte, und wir übernehmen Verantwortung aus unserer Schuld. Ich bin froh und dankbar dafür, dass alle Fraktionen im nordrhein-westfälischen Landtag das heute gemeinsam tun. Als Deutsche und als Demokraten.
Getragen ist unsere Verantwortung von der Erinnerung und dem Wissen um das, was in den Jahren 1933 bis 1945 geschah ist. Geprägt ist unsere gemeinsame Verantwortung vor der Geschichte durch Demut und Scham: Scham für millionenfaches Morden und für millionenfache Unmenschlichkeit, die in deutschem Namen Menschen verschiedener Nationalitäten und unterschiedlichen Glaubens angetan wurde. Demut im Umgang mit den Opfern, mit den Überlebenden und mit ihren Angehörigen, mit Menschen, die den Holocaust überlebt und unermesslichen Schaden an Leib und Seele genommen haben.
Der 27. Januar mahnt uns, niemals zu vergessen, was damals geschah. Das aufrichtige Bekenntnis zur Geschichte ist für uns zugleich die Verpflichtung, niemals zuzulassen, dass vergessen, verschwiegen, verharmlost oder gar geleugnet wird, was in den Jahren vor dem 27. Januar 1945 und auch in den Monaten bis zum 8. Mai geschah, in denen das Morden weiter ging.
Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in deutschem Namen und von deutscher Hand verübt wurden, waren einzigartig. Sie sind mit nichts aufzurechnen, mit nichts zu vergleichen und schon gar nicht gleichzusetzen. Nichts macht die Schuld geringer, nichts macht die Verbrechen kleiner, wenn wir auch von den deutschen Opfern im Bombenkrieg und über die Vertreibung sprechen. Jeder Vergleich führt zur Entgleisung oder günstigstenfalls zur Peinlichkeit.
Aus der Verantwortung für die Geschichte erwächst die Verantwortung aus der Geschichte: Sein Denken und Handeln so einzurichten, dass all das, was in Auschwitz möglich war, nie wieder möglich wird. Erst dann und nur mit diesem Anspruch wachsen das Recht, die Kraft und der Mut, die eigene Zukunft zu gestalten. Und die Gegenwart so einzurichten, dass die geistigen Erben der Massenmörder von damals auf entschiedenen, auf entschlossenen Widerstand stoßen. Und zwar unter Einsatz aller dem demokratischen Rechtsstaat zur Verfügung stehenden Mittel.
Was sich vor einer Woche im sächsischen Landtag abgespielt hat, das und Ähnliches kann sich in jedem deutschen Parlament wiederholen, wenn wir zulassen, dass Rechtsextremisten mit ihren Worten und Taten unsere demokratische Gesellschaft und Verfassung untergraben. Sie wollen Demokratie, sie wollen Grundrechte, sie wollen Parlamentarismus abschaffen. Sie sind Antidemokraten, sie sind Antiparlamentarier, sie sind Antiaufklärer – wie damals, und das Ende ist bekannt.
Ich sehe den gemeinsamen Antrag unserer Fraktionen auch als klare Ansage an jene, die es für ein legitimes, vielleicht sogar für ein demokratisches Mittel des Protestes halten, wenn sie aus Enttäuschung und Frustration unsere demokratischen Parteien den Rechtsextremisten ihre Stimme geben. Wer rechtsextrem wählt, weiß genau, was er tut. Und er kann nicht sagen: „Das habe ich nicht gewusst. Das habe ich nicht gewollt.“ > Über das Wollen können wir politisch nicht beeinflussen. Aber das Wissen können wir verändern und verbessern: An Schulen, in der Weiterbildung, an Universitäten.
Aber es sind auch die Eltern und Großeltern gefordert, mit ihren Kindern und Enkelkindern über die Jahre zwischen 1933 und 1945 und vor allem über die Ursachen zu sprechen und über das, was heute wieder geschieht. Sie tragen eine große Verantwortung für die Zukunft. Nicht minder die Medien, die Manager und die Arbeitnehmervertretungen in den Betrieben. Sie tragen die große Verantwortung, junge Menschen zu Mitmenschlichkeit und Solidarität zu erziehen, zu mündigen Bürgerinnen und Bürger mit Zivilcourage, die immun sind gegen die Hetzparolen, Lügen und Fanatismus.
Doch wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass es Menschen gibt, denen rational nicht mit Argumenten entgegengetreten werden kann. Die sehr genau wissen, was sie tun, wenn sie Auschwitz leugnen, wenn sie die Täter feiern und die Opfer des Nationalsozialismus verhöhnen oder verspotten. Diesen Angriffen auf unser freiheitliches, tolerantes Gemeinwesen, auf Ethik und Moral, diesen Angriffen auf grundlegende Werte unserer gesellschaftlichen Ordnung müssen wir mit aller möglichen Härte des Gesetzes entgegen treten.
Und ich füge hinzu: Auch ohne verfassungsgerichtliches Verbot der NPD sind unsere Demokratie und unsere Gesellschaft nicht wehrlos gegen braune Gewalttäter und braune Hassprediger. Wir werden sie mit allen Mitteln des Rechtsstaates bekämpfen. Aber das allein reicht immer noch nicht aus.
Wir brauchen den Widerstand jeder Bürgerin und jeden Bürgers, aller Menschen, die für eine solidarische, eine menschliche, kurz: für eine friedfertige Gesellschaft eintreten. Für eine Gesellschaft, die sich gegen alles und jeden zur Wehr setzt, der sie bekämpft, mit Worten oder mit Taten. Für braune Extremisten gilt dasselbe wir für alle Extremisten: Keine Toleranz der Intoleranz!
Vor zwei Jahren hat der gemeinsame Antrag aller Fraktionen unseren Weg beschrieben, den wir gemeinsam mit den jüdischen Gemeinden in Nordrhein-Westfalen gehen wollen. Wir sind bereits ein gutes Stück des gemeinsamen Weges gegangen.
Hier in Nordrhein-Westfalen sind wir zu Gefährten geworden. Auch diese wichtige Gemeinsamkeit wird durch den gemeinsamen Antrag heute noch einmal unterstrichen. Wir setzen damit ein wichtiges Zeichen zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Ein Zeichen dafür, dass wir uns zu unserer Geschichte bekennen und aus diesem Bekenntnis unser Handeln für die Zukunft bestimmen.
Ein Handeln, das es eine Wiederholung dieser Vergangenheit, in welcher Form auch immer, unmöglich macht. Angesichts dieser Last, dieser erdrückenden Schuld auf deutscher Seite und der tiefen Traumatisierung aller Bürger des Staates Israel, war es in der Tat ein Wunder, dass es vor vierzig Jahren zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel gekommen ist.
Dies ist maßgeblich der Verdienst zweier Männer, die nicht nur um die politische Dimension, sondern um die historische Dimension, sondern auch um die humanistische Dimension gewusst haben: David Ben-Gurion und Konrad Adenauer. Ich finde, dass Avi Primor das heute eindrucksvoll in seiner Rede dargestellt hat.
Der Strom der Begegnungen und zahllose freundschaftliche Beziehungen, die sich daraus in diesen vierzig Jahren entwickelt haben, sind vielen Menschen auch und gerade aus Nordrhein-Westfalen, und ich füge hinzu, nicht zuletzt aus den Reihen dieses Parlamentes gewachsen und gefördert worden. Es ist heute nicht der Zeitpunkt, diesen vierzigsten Jahrestag der Aufnahme dieser diplomatischen Beziehungen zu würdigen. Aber diese vierzig Jahre geben Hoffnung. Und Hoffnung ist der stärkste Antrieb gegen Rassismus und Totalitarismus.
Vielen Dank.