BONN. Die Zeiten sind hart. Besonders für Finanzminister. Und 15 Monate vor der Landtagswahl.
Da verwundert es nicht, wenn selbst ein gewöhnlich sehr verbindlicher Mensch wie Jochen Dieckmann, Kassenwart der NRW-Regierung, mitunter zu verschleiernden, beschönigenden Formulierungen greift. So beschreibt er die Lage seiner SPD angesichts anhaltend katastrophaler Umfragewerte im Land und im Bund als „entwicklungsfähig und entwicklungsbedürftig“. Oder beim Thema Doppelhaushalt 2004 / 05, der angesichts der hohen Neuverschuldung trotz aller Sparanstrengung von der Opposition für verfassungswidrig gehalten wird: „Der finanzielle Handlungsspielraum bleibt eng“.
Der Ernst der Lage in Deutschland, glaubt der 56-jährige in Bonn wohnende SPD-Politiker, wurde in der Öffentlichkeit noch nicht überall begriffen: „Das Bewusstsein vom engen Handlungsspielraum schreitet fort. Auf der anderen Seite gibt es abenteuerliche Vorstellungen davon, was der Staat noch alles leisten kann. Das lässt einen manchmal verzweifeln.“
„Eine große Kommunikationsaufgabe“, meint der Minister im Rundschau-Redaktionsgespräch in Bonn. Zumal Größenordnungen im Spiel sind, die der Bürger in der Praxis nicht wirklich erfasst. „Wenn man sagt, das Haushaltsvolumen in NRW beträgt 48 Milliarden Euro, kann sich darunter kein Durchschnittsbürger etwas Konkretes vorstellen.“
Nun also ist Sparen angesagt. Und Aufgabenkritik. Denn, so argumentiert Dieckmann, der Staat kann nur den Gürtel enger schnallen, wenn er lieb gewonnene Leistungen zurückfährt. „Das wiederum löst einen Sturm der Entrüstung aus, wie wir ihn bei unseren Sparanstrengungen im Land zuletzt erlebten, nachdem wir Teile der sozialen Infrastruktur, der Förderung von Sport und Kultur in Frage gestellt hatten. Wir können aber nicht über Ausgaben diskutieren, wenn wir nicht über Aufgaben diskutieren.“
Mit allgemeinem Beifall, argumentiert der Minister, haben wir uns überall in der Republik und unabhängig von der Parteizugehörigkeiten in besseren Jahren nicht eingeschränkt. Lange seien Dienstleistungen im öffentlichen Bereich massiv ausgeweitet und auf ein im internationalen Vergleich hohes Niveau geschraubt worden. „Das nehmen wir in Deutschland häufig gar nicht mehr wahr. 53 Prozent unserer realen Steuereinnahmen im Etat gibt NRW für Personal aus.“ Zu 90 Prozent in Bereichen, in denen nach Meinung des Ministers Bürger eher mehr als weniger staatliche Leistung erwarten und niemand Verzicht üben will: „Keiner will weniger Polizisten und damit weniger Sicherheit. Im Gegenteil. Keiner will weniger Justiz, wir wollen ja schnellere Verfahren. Keiner will weniger Lehrer, wir brauchen mehr Bildung – an Schulen wie an Hochschulen. Und wir können uns nicht weniger Finanzbeamte leisten, weil diese die staatlichen Einnahmen ja erst gewährleisten.“
Das Hauptproblem sieht Jochen Dieckmann in diesem Zusammenhang in der deutschen Mentalität, möglichst alles möglichst gründlich regeln zu wollen. „Erwartung an die Letztgenauigkeit“ nennt er das, „die Präzision, mit der wir Einzelfallgerechtigkeit herstellen.“ Daraus ergibt sich eine hohe Personaldichte, die „hohe Kosten und enorme Ressourcen bindet“. Zum Beispiel im Steuerrecht. Doch anderseits, „das wussten schon alten Römer: einfaches Recht ist ungerechteres Recht“. Man muss sich also entscheiden.
Eine Kernfrage bei der Spardebatte lautet daher: Was lassen wir uns Gerechtigkeit noch kosten? Wo stößt Regulierung an wirtschaftliche Grenzen? In dieser Diskussion, glaubt der SPD-Politiker, ist die Gesellschaft noch nicht viel weiter gekommen. Und somit auch nicht die praktische Politik. Ein tief greifender Bewusstseinswandel angesichts der Tatsache, dass es kaum mehr Wachstum gibt, steht aus – bei Volk wie Volksvertretern. „Früher wurden die anstehenden Probleme aus dem Zuwachs gelöst. Das ist nicht mehr möglich. Die politische Gestaltung von Stagnation oder Schrumpfung aber hat niemand von uns gelernt.“
Dennoch: Wo kann künftig im Landesetat zusätzlich gespart werden, wenn zugleich Neuverschuldung sinken soll, die Kosten aber zum Beispiel wegen zunehmender Pensionslasten für Beamte steigen?
Da möchte sich der NRW-Finanzminister nicht so gerne festlegen. Schließlich wurde der Etat für die nächsten beiden Jahre erst gerade unter Schmerzen verabschiedet. Weitere Grausamkeiten, so glauben Beobachter, setzt die rot-grüne Koalition vor der Landtagswahl im Mai 2005 nicht mehr auf die Tagesordnung.
Die darf dann eine andere Regierung lösen? „Nein, nein“, wehrt Dieckmann ab, „ich bin ziemlich erpicht darauf, das selber regeln zu müssen.“ Auch nach der Wahl 2005“.